Dienstag, 14. August 2012

Ich lebe seit 12 Jahren in Berlin. Eine Stadt in der, wie an kaum einem anderen Ort Deutschlands, dass Bild von gelebter, von gelungener aber auch gescheiterter Integration zum Alltagsbild gehört. 

Mein Blick geht in Richtung Neukölln wo a
uf engsten Raum etwa 300.000 Menschen leben, die sich auf rund 170 Nationalitäten verteilen. Ich sehe die Karl Marx Strasse, die geprägt ist von kulturellen Einrichtungen fremder Nationalitäten, von Läden die Waren anbieten deren Namen kaum auszusprechen ist. Von Gerüchen, Farben, Stimmengewirr und Getriebe wie es einem orientalischen Bazar gleichkommt.

Ich setze meinen Weg fort Richtung Kreuzberg und gelange zum Bi-Orientalischen Türkenmarkt, der in der malerischen Kulisse des Paul Linkeufers zweimal wöchentlich stattfindet. Hier tauchst du ein in eine fremde Welt in der du dich keinesfalls als Fremder fühlst. Schon nach den ersten Schritten wird die ein Tee gereicht. Du ziehst vorbei an Gewürzständen. An Tischen, die unter der Last meterhoher Stoffballen zu bersten drohen. An Lebensmittelständen die allein durch ihre Optik bestechen. Dies jedoch nicht durch wohldrapiete, im ausgewählt farblichen Kompositionen, geschaffen von Lebensmitteldesignern arrangierten Auslagen, die, ergänzt durch chemisch produziere Aromen aus der Konserve, sich dem Kunden aufdrängen

Hier, in dieser Oase fremder Kulturen bist du Gast, doch keinesfalls Fremd. Menschen die anders aussehen, die sich anders kleiden, die andere Traditionen pflegen. Unwillkürlich denke ich an den Mann, der vor einiger Zeit das Amt des Finanzsenators in Berlin bekleidete, bis er als selbsternannter Retter der Nation seine zweifelhaften Thesen unters Volk brachte. Ist dies der Ort an dem Deutschland sich abschafft? Für mich nicht. Für mich ist dies der Ort an dem Europa stattfindet.

Ich denke an die Kantstrasse in Charlottenburg, die sich parallel zum Ku´damm, beginnen am Bahnhof Zoologischer Garten in Richtung Südwesen zieht. Hier ein ähnliches Bild. Mein türkischer Friseur. Kein überteuertes Enterieur. Keine marmornen Frisiertische vor halogenbeleuchteten Kristallspiegeln. Stattdessen Zweckmäßigkeit aber ein Höchstmass an Service. An Freudlichkeit. Über den Preis gar nicht zu sprechen. Nebenan, bei „ Cut ( pay ) and go“ zahle ich den dreifachen Preis.
Frisch frisiert, rasiert und gestärkt mit einem Pfefferminztee im Magen, setze ich meinen Weg in Richtung Wilmersdorferstrasse fort. Hier mein Albanischer Obst und Gemüsehändler, der seinen Waren gegen Geschäftsschluss zu einem Bruchteil dessen, was ich bei dem bereits erwähnten Lebensmitteldiscounter am Savignyplatz zahlen müsste, anbietet.
Ich erinnere mich an meine Kindheit, wenn ich meine Mutter auf den Markt begleitete. Erinnere mich daran, wie es immer etwas zu Kosten gab. Also ich mir vor einigen Tagen anmaßte, eine Weintraube noch vor der Kasse in den Mund zu stecken, fürchte ich für einen Augenblick lebenslanges Landverbot.

Nein – ich kann kein Zeichnen von Nachteil und zunehmender Überfremdung unserer Gesellschaft erkennen. Befremden tut mich die Haltung großer Teile der Deutschen Bevölkerung.

Ich störe mich nicht am Neubau einer gigantischen Moschee Köln, die für mich übrigens ein architektonisches Meisterwerk darstellt. Störe mich ebenso wenig an kulturellen Einrichtungen Türkischer Mitbürger wie an der Jüdischen Synagoge in meiner unmittelbaren Nachbarschaft. Ich störe mich nicht an muslimischen Frauen die aus tiefer Überzeugung die Kleiderordnung ihrer Religon praktizieren. Ich sehe das Kopftuch nicht vordergründig als Symbol der Unterdrückung. Haben wir das Recht hierüber zu befinden?

Sprechen wir über Agressionspotential und Kriminalität. Ich schaue in die Randgebiete Berlins. Marzahn, Hellersdorf, Hohenschönhausen. Hier verkommt die Gesellschaft. Aber auch hier nicht vordergründig durch den Anteil ausländischer Mitbewohner. Wenn wir von Gettoisierung sprechen, einem Begriff der immer wieder auch im Zusammenhang mit Schulklassen die einen hoben Anteil ausländischer Schüler beinhalten, stellt sich mir auch die Frage, woraus dieses Gettoisierung resultiert.

Vor 60 Jahren kamen die Ersten. Man nannte sie Gastarbeiter. Sie kamen aus Italien, Jugoslawien, Griechenland. „ Katzelmacher „ wurden sie argwöhnisch genannt. Man hat sie gemieden. Viele gingen zurück. Manche blieben, ließen ihre Familien folgen. Dennoch blieb man weitgehend unter sich. Schaffte sich ein Stück Heimat im fremden Land. Würden wir es nicht ebenso halten, wären wir in einer vergleichbaren Situation? Ich denke ganz gewiss würden wir es tun. Aber wir sind nicht in dieser Situation. Wir leben eine einer Wohlstandsgesellschaft die an Dekadenz und Verschwendungssucht, bemessen am internationalen Standart, kaum zu überbieten ist. Die Aussengrenzen unseres wunderbaren Kontinents werden militärisch gesichert durch einen Institution deren Name allein mich fröstelt „ Frontex „ Wie wollen nicht teilen. Nicht abgeben von dem Wohlstand der auch der Fußt auf dem Leid derer, die hier an die Tür klopfen.
Sicher ist der Ein oder Anderer unter ihnen der sich einschleicht. Der versucht sich auf Kosten der Sozialgesetzgebung zu bereichern. Sicher gibt es Kriminaliät in einem nicht zu tolerierenden Maße. Aber alles und jeden über einen Kamm zu scheren ? Das ist doch zu einfach gedacht.

Ich persönlich fühle mich weder eingeschränkt noch bedroht durch den Anteil unserer ausländischen Mitbürger. Ich versuche ihnen das Maß an Respekt und Achtung zu zollen das ihnen gebührt. Spreche sie nicht pauschal mit einem lapidaren – du – an. Nicht mit einem verqueren Deutsch und übergehe sie nicht. Ich halte der verschleierten, mir Einkaufstüten bepackten Frau ebenso die Tür auf, wie jedem anderen Passanten.
Ich sehe es als Bereicherung für die Gesellschaft. Als gelebten europäischen Gedanken, der sich in der Politik offenbar nur noch in Zahlen ausdrückt. ( R.B.)